Die Musik ist ihrem Wesen nach die flüchtigste der Künste, da sie, kaum dass wir glauben, sie zu fassen, schon verklungen ist. Ihr Wesen als Zeit-Kunst hat in der Frühromantik zu der Behauptung geführt, eine ihr adäquate Rezeption sei nur kontemplativ gegeben. Dieser Gedanke hebelt pfiffig das systemtheoretische Paradox aus, dass wir Musik nicht hören können, wenn wir sie hören: Denn tatsächlich können wir entweder hören oder über das Gehörte nachdenken, aber nicht beides zugleich: Während wir also denken, dass wir hören, ist die Musik in der Zeit ja bereits fortgeschritten... Der Kirchenvater Augustinus sagt, dass die Menschen im Augenblick bei Gott sind. Der heute in der sogenannten westlichen Zivilisation lebende Durchschnittsmensch ist im Augenblick aber grundsätzlich mit Denken beschäftigt, entweder über die Vergangenheit, was meist richtig gute Laune macht, oder die Zukunft. Wenn also die Frühromantiker, die bekanntermaßen in der Musik eine Ersatzreligion zu sehen meinten, einen vom Alltagsbewußtsein sich unterscheidenden Bewußtseinszustand vom Hörer fordern, ist damit gemeint, dass wir den ständig in unserem Kopf plappernden Affen, den wir Ich nennen, für einen Augenblick in seine Schranken weisen, um dann, falls wir religiös sind und monotheistisch geprägt und den Blödsinn glauben, den Augustinus gesagt hat, bei Gott zu sein.